Sonntag, 9. März 2008

Neubeginn hinter Gittern

Sie saß ganz still und rührte sich nicht. Kalt war es und vor ein paar Tagen hatte der Wind angefangen zu pfeifen. Sie fror ein wenig, aber ihr Platz bot Schutz vor der Kälte. Es war einer der letzten Tage in diesem Jahr, die sie draußen genießen wollte, auch wenn es schon ganz schön ungemütlich geworden war. Sie blickte noch einmal über die Beete des Gartens. Die Erde, die auf ihre Füße gekrümelt war, war nun schon unangenehm nass. Bald würde der Herbst seine rauen Winde losschicken und dann kam der lange dunkle Winter, in dem sie nie genug frische Luft hatte, den sie gewöhnlich in ihrem dunklen Zuhause verbrachte, sich ausruhte von einem Sommer im Grünen. Dann durchlebte sie den vergangenen Sommer mit ihrer besten Freundin noch einmal, erinnerte sich an schöne Stunden im Sommerwind und dachte daran, wie sie sich gemeinsam über das Flattern der bunten Schmetterlinge gefreut und wie sie dem Kuckuck gelauscht hatten. Ja, es war schön mit der Freundin, von der sie schon eine Weile nichts mehr bemerkt hatte. Wo steckte die eigentlich? Warum meldete sie sich nicht? Jetzt reichte es nicht, einfach nach nebenan zu gucken, was die Gute trieb, jetzt war Herbst und sie beide hatten sich schon fast in ihr Quartier zurückgezogen. Auch wenn sie noch so genau guckte, sie konnte ihre Gefährtin nicht entdecken. An manchen Tagen konnte sie von hier aus riechen, wie gut es bei ihrer Freundin duftete, aber heute verriet kein Duft etwas von ihr. Nur Dunkelheit und Kälte ringsum waren zu spüren, Es roch nach nasser Erde und ab und zu war das Rascheln eines Regenwurms zu hören. Wenn sie doch auch so krabbeln könnte, wie ein Regenwurm, dann würde sie hinüberrutschen und nachsehen, was mit der Freundin geschehen war. Aber als kleine Lilie Pinky, genauer gesagt als eine Pink Perfection, musste sie still an ihrem Platz bleiben und konnte nicht nachsehen, wie es ihrer lieben Queeny, einer African Queen, ging. Langsam wurde Pinky unruhig. Was sollte sie tun? Ich werde den Spatz fragen, dachte Pinky, der passt immer genau auf, was im Garten los ist. Als der Spatz wieder vorbei kam, rief sie ihn. „Sag mal, Spatz, hast Du Queeny gesehen? Ich kann sie nirgends finden.“ Aber der Spatz piepste nur, da musst Du jemanden fragen, der unter der Erde wohnt. Hier oben ist sie nicht.“ Traurig bedankte sich Pinky und plötzlich fiel ihr der Maulwurf ein. Ja, der könnte Bescheid wissen. „Hallo, Herr Maulwurf“, rief die kleine Lilie so laut, bis der Maulwurf zu ihr gekrochen kam. „Was gibt es denn, warum schreist Du so?“, fragte er. „Maulwurf, sag mal, hast Du meine Freundin Queeny gesehen? Ich kann sie nirgends entdecken?“. Der Maulwurf dachte lange nach, dann begann er zögernd zu antworten. „Nein, gesehen habe ich sie nicht. Tut mir leid. Ich glaube, etwas Schreckliches ist geschehen. Ich habe vor zwei Tagen die böse Wühlmaus hier gesehen. Sie war auf Futtersuche. Vielleicht hat sie Queeny erwischt.“
Pinky hielt vor Schreck den Atem an. Queeny von der Wühlmaus gefressen? Das ist ja schrecklich. Pinky wurde sehr traurig. Sollte es keinen neuen Sommer mit Queeny geben? Sollten sie nie wieder den lustigen Schmetterlingen hinterher gucken und nie wieder den Kuckuck rufen hören? Sie wollte es noch nicht glauben. Vor lauter Kummer zog sie ihren letzten Rest Stiel ein und verkroch sich ganz tief in der Erde.
Sie musste eine ganze Weile reglos in ihrem Loch gesessen haben, immer an Queeny denkend, als sie plötzlich ein Wackeln der Erde wahrnahm. Ja, ganz in ihrer Nähe bewegte sich die Erde gefährlich stark. Immer näher kam das Wackeln. Kam die Wühlmaus jetzt auch, sie zu holen? Pinky konnte plötzlich nur noch weinen.
Doch plötzlich hörte das Wackeln auf. Es war wieder ruhig und Pinky atmete erleichtert auf, bis es gleich darauf von neuem begann. Pinky zitterte. Sie zitterte vor der Wühlmaus. Aber was war das? Das Wackeln hatte aufgehört, es begann zu klacken. Immer öfter hörte Pinky das Klack Klack Klack. Das konnte sich die kleine Lilie nun gar nicht erklären. So etwas hatte sie noch nie gehört. So klingt es doch nicht, wenn die Maus einen Lilienstängel durchbeißt. Hatte die Wühlmaus sich Metallzähne zugelegt, damit sie kräftiger zubeißen konnte? Ängstlich saß Pinky in ihrem Loch und lauschte auf die Geräusche, die um sie herum zu hören waren. Plötzlich gab es ein letztes Klack Klack. Dann war Ruhe. Dann gab es plötzlich dumpfe Töne als wenn jemand Erde auf ihr schönes Beet warf. Immer wieder hörte Pinky jetzt das Bumm Bumm. Was machte die Wühlmaus denn jetzt nur? Hatte sie sich die Äste vorgenommen, waren jetzt auch noch die Bäume in Gefahr? Der kleinen Lilie taten die Bäume sehr leid, aber sie war auch ein wenig erleichtert, weil die Geräusche nicht näher kamen. Trotzdem war Pinky klar: Bald wurde es richtig kalt, und dann hatte die Wühlmaus großen Hunger. Es wurde immer gefährlicher. Vor Angst zog Pinky alle ihre Schuppen ganz nah an ihre schöne dicke Zwiebel heran. Während sie unruhig und fröstelnd zitterte, wackelte die Erde über ihr plötzlich ganz in ihrer Nähe. Es wurde hell über ihr und Pinky merkte, wie sie hochgehoben wurde. Sieht so das Ende aus, dachte sie nur noch. Doch da konnte sie auf einmal den Garten wieder sehen. Nein, das war nicht die Wühlmaus. Pinky schwebte auf einem schönen silbernen Spaten und guckte in Axels Augen. Der hatte also den ganzen Krach gemacht und ihr so viel Angst eingejagt. Der war doch sonst immer nett zu ihr. Er hatte ihr im Sommer immer abends Wasser gegeben, als sie mit ihren Wurzeln nichts mehr erreichen konnte. Er hatte ihr die lästigen Schnecken vom Hals gehalten und merkte auch immer, wenn ihr die Lilienhähnchen zusetzten. Aber was hatte er nun mit ihr vor? Ehe sie wusste was los war, schwamm sie in einer nassen Brühe, die auch noch schrecklich stank. „He Axel, was soll das denn, rief sie, aber Axel hörte sie wohl nicht und machte einfach weiter. Er tauchte sie dreimal kräftig unter, dass ihr ein wenig schwindelig wurde, dann verschwand er mit seinem Spaten in Richtung Beet. Pinky fand das zwar nicht so richtig fein, aber es war immer noch besser, als wenn sie von der Wühlmaus gefressen worden wäre. Sie beschloss, sich ruhig zu verhalten und abzuwarten. Nach eine ganzen langen Weile, wohl viele Stunden später kam Axel plötzlich mit seinem Spaten zurück und holte Pinky aus der Brühe. Dabei lächelte er sie ganz lieb an, das konnte eigentlich nichts Böses bedeuten. Pinky kam wieder auf den Spaten. Ich soll umziehen, fiel es Pinky plötzlich ein und schon ging es ab, quer durch den Garten. Pinky zwinkerte ein wenig und sah, wie sie vor einem eigenartigen Beet halt machten. Ihr neues Zuhause sah anders aus als ihre vorherigen Wohnungen. Es hatte außen vier Bretter, und am Rand konnte Pinky einen dicken grünen Drahtzaun entdecken. „Hier ist Dein neues Zuhause, Hochbeet Nummer Vier.“, sagte Axel feierlich und fügte freundlich hinzu: „Hier werden Dir die Wühlmäuse nichts tun. Ich hoffe, Du fühlst Dich dort wohl“. Unten war eine Kuhle mit Sand, in die setzte Axel Pinky hinein und gab ihr frische Erde und einen Schluck Wasser für ihr neues Zuhause. Dann war er auch schon verschwunden. Es dauerte nicht lange, da sah Pinky ihn wieder mit dem Spaten kommen und unterdrückte einen kleinen Schrei. Sie konnte vor Freude kaum glauben, was sie da sah. Auf Axels blitzendem Spaten schwebte ihr Queeny entgegen. Ihre liebste Lilienfreundin Queeny bekam tatsächlich den Platz neben ihr im Hochbeet Nummer Vier. Pinky strahlte über die ganze Zwiebel und freute sich, als Queeny sie endlich entdeckte. Jetzt konnte der Winter beginnen.

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