Mittwoch, 16. Januar 2008

Paul räumt auf

Paul saß in seinem Zimmer und guckte auf den Fußboden. Überall lag Spielzeug, und er hockte mitten drin. Mama hatte gesagt: „Räum auf!“. Das sagt sie immer, wenn Besuch kommt. Dabei hatte er erst vor 2 Tagen alles fein säuberlich in die Kisten geräumt. Und nun lag alles durcheinander, und er hockte mitten in dem ganzen fürchterlich unordentlichen Haufen Spielzeug. „So sieht es nun mal aus, wenn ich ganz doll spiele “, sagte er sich. Was Mama nur immer hat. Nur weil Tante Susanne zu Besuch kommt, muss das Zimmer hier ganz ordentlich sein. „Ich spiel doch nachher gleich weiter“, hatte er zu Mama gesagt. Aber Mama blieb dabei, ohne Ordnung keine Kirschtorte, und die aß Paul furchtbar gern.

Diesmal war der Spielzeughaufen besonders groß und Mama könnte ruhig ein wenig helfen, fand Paul.

„Mama, hilfst Du mir?“ fragte Paul. Aber Mama hatte selbst genug zu tun und keine Zeit dafür. Paul betrachtete seine Sachen und hatte einfach keine Lust zum Aufräumen. Er nahm sein schönstes Auto aus der Mitte heraus, das tolle grüne mit den Türen zum Aufmachen und fuhr ein wenig hin und her. Er machte die Türen auf und fuhr unter dem Tisch durch, am Schrank vorbei und parkte erst mal unter dem Fensterbrett. Das machte viel mehr Spaß als Aufräumen. Er blickte ärgerlich zum Spielzeughaufen. Aber was war das? War der Spielzeughaufen vorhin nicht viel kleiner? Paul konnte es genau erkennen, der Spielzeughaufen war gewachsen. Paul begann sich ein wenig vor der vielen Arbeit zu fürchten.

Er rannte zu Mama. „Das wird immer mehr!“ rief er. Aber Mama zog ihn zum Zimmer seiner Schwester Anna und zeigte ihm, dass dort schon alles schön geordnet in den Regalen lag. Ja, Anna würde Kirschtorte kriegen und er saß dann bestimmt noch immer in seinem Kram.

Kaum kam er zurück aus Annas Zimmer, schien der Spielzeugberg schon wieder größer zu sein. Und nun wollte auch noch Mama alles wegpacken, wenn nicht bald Ordnung ist. Aber dann durfte Paul ganz schön lange nicht mehr damit spielen, das wusste er schon von letztem Freitag, als er auch nicht aufgeräumt hatte. Da hatte Mama aufgeräumt und dann alles eingeschlossen.

Paul warf sich auf sein Bett und begann zu weinen. Das schaff ich nie, dachte er, das ist viel zu viel, da werd ich nie fertig, und eine dicke Träne kullerte ihm über die Wange. Er wischte sie schnell weg. Der Spielzeugberg wirkte jetzt riesig und wie ein schreckliches Ungeheuer, das Paul nie und nimmer besiegen konnte. Paul fürchtete sich sehr davor. Er fühlte sich ganz klein und schwach daneben.

Gerade wollte er wieder zu weinen anfangen, da hörte er eine feine Stimme flüstern:

„Warum bist du denn so traurig?“ Erschrocken sah sich Paul um, konnte aber niemanden entdecken. Sicher hatte er sich verhört. Aber schon flüsterte es wieder: „Warum weinst du denn?“ Es schien direkt aus dem Spielzeugberg zu kommen.

„Ist da wer?“, fragte Paul ganz leise und sein Herz klopfte ganz doll. Dann musste er wieder schluchzen.

„Nun hör schon auf zu weinen, ich tu dir doch nichts“, sagte die Stimme. Paul wunderte sich sehr und fürchtete sich noch ein wenig, aber er wollte zu gern wissen, wer da mit ihm redete.

„Wo bist du? Ich kann gar keinen sehen“ sagte Paul und war richtig neugierig geworden.

„Ich bin hier, im Spielzeugberg“, antwortete die Stimme und im selben Moment schien der Spielzeugberg ein wenig zu wackeln. Paul blickte gespannt auf das Spielzeug, das sich von ganz allein bewegte. „Wer bist Du?“, fragte er und nahm seinen ganzen Mut zusammen. Es raschelte und mitten aus dem Spielzeug schob sich ein kleiner Kobold hervor. Er hatte einen runden Kopf, eine Knopfnase, einen kugelrunden Bauch und sah eigentlich ganz freundlich aus. An seinen Füßen saßen zwei schöne leuchtend rote Schuhe, mit denen er hin- und her wippte. „Ich bin Heppi“, hörte Paul aus dem Spielzeugberg. Der Kobold lachte Paul freundlich an. „Wo kommst Du denn her?“, fragte Paul ganz erstaunt. „Bin ganz schnell hergeflogen, als ich Dein Zimmer gesehen habe und gehört habe, wie Du weinst. Ich komme um Dir zu helfen.“, sagte Heppi. „König Chaos wird immer übermütiger und langsam tun mir die Kinder leid“, meinte der freundliche Kobold jetzt. „Wer ist denn König Chaos?“, fragte Paul gespannt. „König Chaos wohnt bei mir zu Hause. Er liebt Unordnung, je mehr, desto besser. Dann wird ihm ganz warm und gemütlich und er fühlt sich so richtig wohl. Davon kriegt er nie genug. Allein kann er gar nicht so viel Unordnung anrichten, also sorgt er dafür, dass ihm die Kinder dabei helfen. Am meisten freut er sich, wenn die Kinder gar nichts mehr finden und dann auch noch Ärger mit ihren Eltern kriegen. Manchmal räumen sie ganz schnell auf, dann ärgert sich König Chaos. Darum hat er sich vor einiger Zeit was ausgedacht, wie er die Kinder dazu bringt, ihre Unordnung schön liegen zu lassen. Leider klappt das so gut, dass die Kinder gar nicht mehr fröhlich in ihren Zimmern spielen können, sondern nur noch mutlos neben ihren Sachen sitzen. Er macht den Kindern immer mehr Angst vorm Aufräumen, das geht einfach nicht mehr so weiter.“ Paul blieb vor Staunen der Mund offen. Er hatte noch nie etwas von einem König Chaos gehört und so war er ganz leise und hörte Heppi weiter zu.

„König Chaos ist seit einiger Zeit ganz schön stark geworden und er hat sich viele Helfer gesucht, alles Leute, die Aufräumen überhaupt nicht leiden können. Die freuen sich, dass endlich mal einer versteht, dass man so etwas nicht möchte, und vor allem freut sie, jemanden gefunden zu haben, der dafür noch besonders nett zu einem ist. König Chaos kann nämlich sehr nett sein, wenn er neue Helfer sucht. Sie müssen nur versprechen, nie mehr aufzuräumen. Dann holt sich König Chaos ihre Sachen ab und sie bekommen nur das nötigste, was sie brauchen. Natürlich ist das viel, viel weniger als das, was sie dem König mit den abgeholten Dingen geben, nur finden sie das vor lauter Aufräumangst nicht einmal komisch. Meistens merken sie es gar nicht und sind sehr glücklich, nie mehr aufräumen zu müssen. Als Dank an König Chaos müssen sie umherziehen und unordentliche Kinderzimmer finden, in denen die Kinder auch ein wenig unzufrieden sind übers Aufräumen“, erklärte Heppi dem Paul, der sich alles mit vor Staunen offenem Mund anhörte.

„Waren die Helfer auch bei mir?“, wollte Paul jetzt wissen. „ Natürlich waren sie auch bei Dir.“, sagte Heppi. „Sie haben dem König Bescheid gesagt. Und dann kommen seine Fürchtedrachen angeflogen und setzen sich mitten in das ganze Durcheinander.“

„Was für Fürchtedrachen? Sind hier etwa welche?“, wollte Paul wissen.

„Nur einer“, antwortete Heppi. „Aber inzwischen hat er schon 3 Köpfe bekommen und der vierte lässt nicht mehr lange auf sich warten. Du siehst ihn nicht, aber Du spürst ihn ganz genau. Der ist ganz schön gut darin, das Durcheinander zu bewachen und den Kindern so richtig Angst vor dem Aufräumen zu machen. Er faucht mit jedem Kopf und flüstert Dir ganz leise zu, das Aufräumen schrecklich ist und Du Dich davor fürchten musst, bis Du es dann wirklich glaubst. Dabei kennt er viele Tricks. Mal flüsterte er einem Aufräumfürchter ein, dass das Ordnung machen nie zu Ende geht, mal redete er den Kindern vor, dass es sowieso nicht gut klappt mit dem Ordnung machen und gar nicht zu schaffen ist, mal sagte er ihnen, dass es doch ganz unwichtig ist, weil nur Mama das so will und morgen sowieso wieder alles neu herumliegt. Einem Fürchtedrachen fällt immer etwas ein, warum Aufräumen gerade nicht geht, was man dann an tollen Spielen verpasst, warum es ganz furchtbar ist oder dass man das sowieso nicht so schön hinkriegt, wie die Schwester oder wie man es gerade gern möchte. Er ist da sehr erfindungsreich. Aber das schlimmste ist: Jedes mal, wenn Du Dich am Aufräumen vorbeischummelst, bekommt er einen neuen Kopf, mit dem er Dir dann mehr Angst machen kann und wird so ein wenig fürchterlicher. Du kriegst immer mehr Angst vor dem Aufräumen und er wird wieder ein Stück stärker und fürchterlicher.“ Heppi machte eine Pause, blickte Paul an und wartete einen kurzen Augenblick.

Jetzt fühlte es Paul auch ganz deutlich, der Drachen war ganz dicht bei ihm und brachte ihm das Fürchten bei. Paul hatte überhaupt keinen Mut mehr, mit dem Aufräumen zu beginnen. Am Anfang war er nur ein wenig unlustig und mit der Zeit spürte er einen dicken Kloß im Hals, wenn er nur ans Aufräumen dachte. Je länger er wartete, desto schlimmer wurde es. Und die schöne Kirschtorte konnte er wohl vergessen. Plötzlich merkte Paul, wie er ganz doll wütend wurde, wütend auf König Chaos und wütend auf diesen doofen Drachen, der ihm das eingebrockt hatte. Er musste diesen Drachen loswerden und König Chaos dazu. Er dachte nach, wie er das anstellen könnte. Aber ihm fiel nichts ein. Ob Heppi da einen Rat wusste?

„Gibt es denn gar nichts, was kann man gegen diese Fürchtedrachen tun kann?“, fragte Paul den kleinen Heppi, der ihn noch immer anblickte. „Doch, es gibt etwas, etwas was Fürchtedrachen überhaupt nicht vertragen können“, antwortete Heppi. „Eigentlich ist es ganz einfach. Sie mögen es nämlich überhaupt nicht, wenn Kinder sich nicht fürchten und aufräumen. Dann fangen sie an zu schrumpfen, verlieren ihre Köpfe nach und nach, als ob Du sie ihnen abhaust. Natürlich fauchen sie entsetzlich, reden den Kindern ein, wie gefährlich sie sind und dass Aufräumen ganz schrecklich ist. Aber in Wirklichkeit haben sie furchtbare Angst davor, wenn Kinder wirklich mit dem Aufräumen beginnen.“ Und er reichte Paul eine Brille. Paul setzte die Brille auf und sah auf einmal den Drachen ganz deutlich vor sich. Der sah furchtbar aus, hatte 3 Köpfe, steil aufgerichtete Stacheln auf dem Rücken und fauchte schrecklich. Paul fürchtete sich, aber Heppi sagte ihm: „ Jetzt fang an mit Aufräumen und guck, was passiert.“ Paul fühlte wieder seine Wut und diesmal war es ganz deutlich, dass er auf den Fürchtedrachen so richtig sauer war. Der sollte ihm die Kirschtorte nicht verderben. Er blickte noch ein wenig ängstlich zu dem Fürchtedrachen, der seine Stacheln am Rücken bedrohlich in die Höhe streckte. Aber Pauls Wut war stärker als seine Angst. Er griff ganz vorsichtig nach seinen Buntstiften, die ein wenig abseits am Rande lagen. Der Drachen fauchte ihn an, hielt ihm zur Ablenkung Pauls Lieblingsbuch hin, in dem der immer so gerne blätterte, wenn er eigentlich aufräumen sollte. Aber diesmal konnte er es nicht schaffen, dass Paul die Buntstifte ganz schnell griff und in den Stiftebecher auf dem Regal steckte. Paul lies sich nicht mehr ablenken.

Paul blickte nur noch ein klein wenig ängstlich in die Ecke, wo der Drachen lauerte, aber da geschah plötzlich etwas Eigenartiges. Der Drachen schüttelte sich, kullerte einmal herum und als er wieder aufrecht stand, war ein Kopf verschwunden, der Fürchtedrachen hatte wirklich nur noch zwei Köpfe. Das machte ihn gleich ein bisschen weniger fürchterlich. Die beiden Köpfe fauchten Paul nun zu und Paul hörte ganz deutlich: „Das ganze Spielzeug kriegst Du nie bis nachher aufgeräumt. Das ist viel zu viel.“ Der Drachen lauerte was Paul tun würde und wartete.

Paul atmete tief durch und spürte wieder seine Wut. Wie gut, dass er Heppi getroffen hatte. Jetzt mach ich ihn fertig, dachte Paul. Jetzt soll der Drachen endlich hier verschwinden. Er stürmte zum Spielzeugberg und fing an, die Holzbausteine in die große gelbe Kiste zu räumen, einen nach dem anderen. Ganz schnell und ohne zum Drachen zu gucken machte er das, damit er vor lauter Drachenangst nicht mitten drin aufhörte. Der Drachen wand sich, fauchte und schrie, aber Paul hörte erst auf, als alle Holzbausteine fein säuberlich in der Kiste eingeräumt waren. Paul machte froh den großen Deckel auf die Kiste. Das wäre geschafft. Laut pustete Paul vor sich hin. Das war gar nicht so schwer, wie er gedacht hatte. Er war jetzt sogar ein wenig stolz auf sich. Da schüttelte der Drachen sich, fauchte noch einmal besonders laut und kullerte sich wieder auf dem Boden herum. Als sich der Fürchtedrachen wieder aufgerichtet hatte, sah Paul vorsichtig zu ihm hin und sah, dass der Drachen auf einmal viel kleiner und weniger gefährlich aussah. Vor allem aber hatte er jetzt nur noch einen Kopf. Mit dem fauchte er zwar immer noch vor sich hin, aber so richtig furchtbar klang das schon gar nicht mehr. Paul musste sogar ein wenig lachen, wie der Drachen sich bemühte, ihm Angst zu machen. Jetzt versuchte der Fürchtedrachen etwas Neues:„So schön ordentlich wie bei Deiner Schwester wird es bei Dir sowieso nie. Brauchst es gar nicht zu probieren, die kann sowieso viel besser aufräumen.“, flüsterte er Paul zu. Aber Paul wusste jetzt, dass der Fürchtedrachen ihn nur beim Aufräumen stören wollte. Paul war ganz schön mutig geworden. Den Rest schafft er nun sicher ganz schnell. Schnell räumte er noch seine Autos ein, dann die Feuerwehr und den Autotunnel, nun noch seine tolle Ampel und schon war es geschafft. Der Drachen fauchte noch einmal auf, dann gab es einen kleinen Knall und er war verschwunden. Das Zimmer war aufgeräumt.

Paul war mächtig stolz und sah zu Heppi. „Na also, wusste ich es doch, dass Du es mit der Brille viel besser schaffst.“ „Ist der Drachen immer da, wenn ich aufräumen soll?“, fragte er den kleinen Kerl. „Nur, wenn Du das so lange vor Dir her schiebst. Dann schickt König Chaos einen Drachen zu Dir, der Dir richtig Angst machen soll. Und bis jetzt hat das ja auch immer prima geklappt. Beim nächsten mal weißt Du, dass es nur ein Fürchtedrachen ist, den Dir König Chaos geschickt hat. Und Du weißt auch wie Du ihn wieder loswirst. Du musst einfach anfangen, Drachen mit Aufräumen schwach zu machen, dann werden sie ungefährlich und machtlos und verschwinden. Aber nun weißt du auch warum das so ist und was Du tun kannst, wenn du dich so richtig fürchtest.“, sagte Heppi.

„Brauch ich dann immer deine Brille?“, fragte Paul.

„Nein, die Brille hast du nur heute gebraucht, weil Du das mit dem Fürchtedrachen und König Chaos noch nicht wusstest.“, erklärte Heppi Paul weiter. „ Darum hab ich Dir heute ein wenig geholfen. Beim nächsten Mal kennst du den Fürchtedrachen und wirst ihn gleich besiegen und nicht erst groß werden lassen. Die Brille kannst Du zur Erinnerung behalten, aber Du wirst den Fürchtedrachen damit nicht mehr sehen. Du schaffst es jetzt auch ohne die Brille.

„ Danke, dass Du mir beim Aufräumen geholfen hast, Heppi“, sagte Paul und legte die Brille auf seinen Nachttisch. Er war sehr froh, einen so tollen Freund gefunden zu haben. „ Das warst Du ganz allein.“, sagte Heppi. „Ich hab Dir doch nur gezeigt, wie es geht.“

Inzwischen guckte Mama ins Zimmer: „Hier ist es ja schon ganz ordentlich, sagte sie, das hast Du aber schnell geschafft. Nun kannst Du mit uns Kaffeetrinken und Kirschtorte essen.“

Paul lächelte leise, er hatte ja nun einen tollen Freund. Aber davon sagte er Mama nichts. „Das bleibt unser Geheimnis.“, flüsterte er dem Kobold zu, der ganz schnell unter den Schrank hüpfte, noch einmal raschelte und dann verschwunden war.

Paul guckte unter den Schrank, doch er konnte den Kobold nicht mehr entdecken. Aber er wusste genau, wer ihm so toll geholfen hatte. Schnell zog er seine gute Hose an, und bevor er sein Zimmer verließ, guckte er noch einmal zum Nachttisch und sah die Brille dort liegen. Dann rannte er schnell ins Wohnzimmer, wo schon der Tisch gedeckt war. Als die Kirschtorte herein gebracht wurde, dachte er: Eigentlich müsste Heppi auch ein Stück abbekommen, aber der war nirgends mehr zu entdecken.